Schulsportpraxis und Fortbildung

Zentrale Orientierungen der Rahmenvorgaben

Die vorliegenden Implementationsmaterialien sollen helfen, die zentralen Grundlagen der Lehrpläne vorzustellen, den Lehrkräften Hilfen und Anregungen zu geben, diese Lehrpläne in den Schulen umzusetzen.

Das gemeinsame Fundament für alle Lehrpläne in den unterschiedlichen Schulformen und Schulstufen bilden die Rahmenvorgaben für den Schulsport, die eine pädagogische Grundlegung für den Schulsport darstellen.

Was sind die zentralen Intentionen und Kerngedanken dieser Rahmenvorgaben für den Schulsport?

Das vorliegende Implementationsmaterial bietet entsprechende Hilfen und Antworten.

Doppelauftrag, Pädagogische Perspektiven, erziehender Unterricht und Grundsätze der Unterrichtsgestaltung

Der zentrale Auftrag des Schulsports ist als Doppelauftrag formuliert. Er kennzeichnet die grundlegende pädagogische Position, von der aus das Handlungsfeld Bewegung, Spiel und Sport in den Blick genommen wird. Durch die in den Rahmenvorgaben von diesem Standpunkt aus entfalteten sechs Pädagogischen Perspektiven wird der Doppelauftrag konkretisiert.
Sie zeigen vor allem die erzieherischen Möglichkeiten durch Bewegung, Spiel und Sport auf. Sie setzen auch an den individuellen Beweggründen an, mit denen Kinder und Jugendliche ihr sportliches Handeln verbinden.
Die Prinzipien des erziehenden Unterrichts konkretisieren den Doppelauftrag insofern, als durch sie Hinweise darauf gegeben werden, wie aus Sportunterricht ein erziehender (Sport-)Unterricht wird, durch den sowohl fachimmanente Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt, aber auch gesellschaftlich relevante Einstellungen und Haltungen angebahnt werden. Durch ihre Berücksichtigung erfahren die Schülerinnen und Schüler die Mehrdeutbarkeit des Sports und lernen, verantwortlich damit umzugehen.
Die Ausübung einer sportlichen Aktivität allein genügt nicht, um Erziehungsprozesse wirkungsvoll anzubahnen. Erst durch eine entsprechende Unterrichtsgestaltung wird es gelingen, das pädagogisch Bedeutsame von Bewegung, Spiel und Sport hervorzuheben. Hilfen dazu geben die Grundsätze zur Unterrichtsgestaltung

Was versteht man unter einer Pädagogischen Perspektive?

Pädagogische Perspektiven beschreiben, was in der Auseinandersetzung mit Bewegung, Spiel und Sport über die Entwicklung des sportlichen Könnens hinaus Entwicklungsförderndes geschehen und unterrichtlich angebahnt werden kann. Unter den Pädagogischen Perspektiven sind damit die wichtigsten „didaktischen Thematisierungen“ gefasst.
Jede Perspektive erschließt von einem besonderen Standpunkt aus, inwiefern sportliche Aktivität pädagogisch wertvoll sein kann und eröffnet daher spezifische Möglichkeiten, die Entwicklung Heranwachsender durch Bewegung, Spiel und Sport zu fördern. Das pädagogisch Bedeutsame muss dabei durch eine entsprechende Unterrichtsgestaltung gestützt und hervorgehoben werden, da es sich bei der Ausübung einer sportlichen Aktivität nicht von selbst ereignet.
Die Pädagogischen Perspektiven verweisen zugleich auf (sechs) unterscheidbare Möglichkeiten, subjektiven Sinn im Umgang mit Bewegung, Spiel und Sport zu finden. Unter jeder Perspektive lässt sich im Unterricht an individuelle Sinngebungen anknüpfen, die Schülerinnen und Schülern geläufig sind, d.h. die aus ihrer Lebenswelt stammen (Gegenwartsbezug).
Dabei soll Unterricht aber nicht stehen bleiben. Die Lehrkräfte sollten vielmehr von den aktuellen Sinngebungen der Heranwachsenden ausgehen und diese eigenen,
pädagogisch reflektierten Anliegen gegenüberstellen, um so bei der Suche nach Wertorientierung weiter zu helfen (Zukunftsbezug).


Wahrnehmungsfähigkeit verbessern, Bewegungserfahrungen erweitern
Bei dieser Perspektive geht es um den Zusammenhang von Wahrnehmung und Bewegung. Durch Bewegung erschließt sich bereits das kleine Kind die Welt. Mit dem individuellen Bewegungsrepertoire entwickelt sich zugleich die Wahrnehmung der Welt und des eigenen Körpers. Dieser explorative Zugang zur Bewegung bleibt zwar lebenslang bestehen, hat jedoch im Kindesalter eine herausragende Bedeutung. Für die Praxis folgt daraus vor allem, dass Schülerinnen und Schüler

  • die materiale Umwelt selbständig erkunden,
  • ihre Wahrnehmungsfähigkeit durch vielfältige Bewegungsaufgaben erweitern und verbessern,
  • Sensibilität für die eigene Körperlichkeit und die anderer Menschen entwickeln,
  • Zusammenhänge zwischen körperlicher Befindlichkeit und Bewegungsaktivität kennen lernen.


Sich körperlich ausdrücken, Bewegungen gestalten
Dass unser Körper, insbesondere unser Körper in Bewegung, von anderen und uns selbst immer auch als Träger von Botschaften über das Ich aufgefasst wird (Körpersprache), ist die Basisannahme dieser Perspektive. Über diese Körpersprache kommunizieren wir miteinander und bilden uns auch Meinungen über andere, die wir ihnen auf unterschiedliche Weise widerspiegeln. Solche Botschaften, die sich auf die Körperlichkeit unseres Gegenübers beziehen, sind für den Einzelnen sehr bedeutsam, ist doch das Körperkonzept immer wesentlicher Teil des Selbstkonzeptes.
Den eigenen Körper akzeptieren zu lernen und im Einklang mit der eigenen Körperlichkeit leben zu lernen, gilt daher als wichtige Entwicklungsaufgabe des Jugendalters.
Unter allen Fächern in der Schule hat bezüglich dieser Aufgabe der Sport einzigartige Möglichkeiten, weil sich hier die Reflexion unmittelbar auf das beziehen kann, was im Unterricht praktisch geschieht.
Für die Praxis folgt daraus vor allem, dass Schülerinnen und Schüler:

  • Ausdrucksmöglichkeiten ihres Körpers erfahren und erproben,
  • ihren Körper als Träger von Botschaften kennen lernen,
  • aus eigenen Empfindungen oder vorgegebenen Themen Bewegungsideen entwickeln und gestalterisch umsetzen,
  • geschlechts- und kulturspezifische Ausdrucksweisen reflektieren.


Etwas wagen und verantworten
Wer etwas wagt, sucht aus eigener Entscheidung eine Situation mit unsicherem Ausgang aus und bemüht sich, diese mit den eigenen Fähigkeiten zu bewältigen.
Dabei wird die Unsicherheit zumindest subjektiv als Bedrohung der physischen und z. T. auch psychischen Unversehrtheit empfunden. Das Wagnis ist eine Grenzsituation, in der es notwendig ist, die eigenen Fähigkeiten realistisch einzuschätzen und die möglichen Folgen verantwortlich zu kalkulieren. Solche Wagnissituationen sind typisch für den Sport und bieten auch einen Anreiz, das eigene Können weiter zu entwickeln.
Für die Praxis folgt daraus vor allem, dass Schülerinnen und Schüler:

  • durch Wagnis sich selbst und ihr Können weiter entwickeln,
  • Wagnis und Risiko abschätzen lernen,
  • die eigenen Fähigkeiten einschätzen lernen und die Folgen des eigenen Tuns verantwortlich kalkulieren,
  • den Mut zum Nein - Sagen aufbringen,
  • erfahren, dass Vertrauen und Unterstützung Ängste abbauen hilft.


Das Leisten erfahren, verstehen und einschätzen

Unter dieser Perspektive wird der Prozess der Leistungsentwicklung und Leistungsbewertung zum Thema gemacht. Es wäre ein Missverständnis anzunehmen, dass Leistung im Sportunterricht nur noch gefördert wird, wenn sie unter dieser Perspektive akzentuiert wird. In jedem Unterricht ist das Anliegen, dass Schülerinnen und Schüler etwas lernen, üben, ihre Leistungen verbessern. Zu den pädagogischen Aufgaben der Schule gehört, dass sie bei den Heranwachsenden die Bereitschaft fördert, etwas zu leisten und ihre Leistungen zu verbessern. Das soll hier zunächst heißen, das individuelle Können weiter zu entwickeln. Diese Aufgabe ist grundlegend in allen Fächern und steht in engem Zusammenhang zum Üben. Leistungen im Bereich des Sports sind auf prägnante Weise ganzheitliche Leistungen. Sie haben neben einem hohen körperlichen Anteil auch personale bzw. soziale Anteile. Jede individuell erbrachte körperliche Leistung ist besonders deshalb sehr bedeutsam, weil sie unmittelbar auf die eigene Fähigkeit zurückgeführt werden kann und das Ergebnis der eigenen Leistungsentwicklung besonders deutlich macht.
Die sozialen Bewertungsprozesse, durch die eine sportliche Handlung Leistung wird, sind im Sport besonders anschaulich zu vermitteln. Da sportliche Leistung gerade bei Kindern und Jugendlichen eine hohe Wertschätzung besitzt, ist ein kritischer Umgang mit dem Leistungsbegriff unbedingt notwendig. Dem individuellen Leistungsfortschritt ist eine große Bedeutung zuzumessen.
Für die Praxis folgt daraus vor allem, dass Schülerinnen und Schüler:

  • ihre eigene Leistungsfähigkeit und deren Grenzen bewusst erfahren,
  • Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit gezielt entwickeln,
  • erfahren und begreifen, dass konzentriertes Üben die eigene Leistungsfähigkeit steigert,
  • Grundsätze der Leistungsentwicklung kennen und anwenden,
  • sich kritisch mit dem Leistungsbegriff auseinander setzen,
  • selbstständig angemessene Leistungssituationen finden und bewältigen,
  • die eigene und die Leistung anderer differenziert einschätzen.


Kooperieren, wettkämpfen und sich verständigen
Unter dieser Perspektive geht es allein um die Gestaltung von sozialen Beziehungen, die sich in Zusammenhängen von Bewegung, Spiel und Sport ergeben. Sport ist typischerweise ein Feld sozialen Handelns; Gemeinschaft wird erlebt, Kommunikationsbarrieren und Verständigungsschwierigkeiten können leichter überwunden werden.
Andererseits wird in vielfältigen Situationen sportiver Praxis die Kooperations- und Verständigungsbereitschaft auf die Probe gestellt. Dies trifft auch für das Miteinander der Geschlechter im koedukativen Sportunterricht sowie für die Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu. Die pädagogischen Chancen und Herausforderungen, die sich daraus im Sportunterricht ergeben, gilt es zu nutzen und zu bewältigen.
Für die Praxis folgt daraus vor allem, dass Schülerinnen und Schüler:

  • Regelbewusstsein und Regelverständnis erwerben,
  • Verantwortung für gemeinsame Spiel- und Sportaktivitäten übernehmen,
  • Kooperations- und Konkurrenzsituationen gemeinsam gestalten,
  • den eigenen Sport verantwortungsvoll regeln lernen.

 

Gesundheit fördern, Gesundheitsbewusstsein entwickeln
Unter dieser Perspektive geht es darum, durch Bewegung, Spiel und Sport Fähigkeiten zu entwickeln, gesund zu leben und die dafür notwendigen Kenntnisse zu erwe rben.
Die spezifischen Chancen, durch Sport Gesundheit zu fördern beruhen darauf, dass Sport Bewegung ist und Bewegungsmangel einen Risikofaktor für viele heute weit verbreitete gesundheitliche Beeinträchtigungen darstellt. Hier kann der Sportunterricht ansetzen. Im Sportunterricht kann erfahren werden, welche Bewegung gesundheitlich förderlich ist. Darüber hinaus lassen sich im Zusammenhang mit dem Sport auch weitere Aspekte gesunder Lebensführung (z.B. Ernährung, Entspannung, Körperpflege) zum Thema machen. Die Chancen des Sportunterrichts sich am Auftrag schulischer Gesundheitserziehung besonders beteiligen zu können, liegen vor allem darin begründet, dass in keinem anderen Fach gesundheitsbezogene Erfahrungen und Einstellungen in entsprechender Breite und Vielfalt über eigenes leibhaftiges Handeln gewonnen werden können.
Für die Praxis folgt daraus vor allem, dass Schülerinnen und Schüler:

  • Bewegung, Spiel und Sport als Beitrag zu einer gesunden Lebensführung erfa hren und schätzen lernen,
  • Kenntnisse und Fähigkeiten für ein gesundheitsförderndes Verhalten durch Bewegung,
  • gesundheitliche Risiken und Gefahren beim Sporttreiben erkennen und einschätzen lernen,
  • verantwortungsvoll mit dem eigenen Körper umgehen lernen und die körperliche Unversehrtheit ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler achten,
  • eigene Wege finden, wie Bewegung, Spiel und Sport zum Wohlbefinden beitragen kann.

Prinzipiell sind alle Pädagogischen Perspektiven gleich bedeutsam. Der Doppelauftrag
des Schulsports wird nur dann vollständig verwirklicht, wenn alle Perspektiven
angemessen berücksichtigt werden.

Was bedeutet erziehender Sportunterricht?

Ein pädagogisch orientierter Sportunterricht versteht sich als erziehender Unterricht. Er vermittelt zum einen fachimmanente Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse und zielt zum andern darauf ab, Einstellungen und Haltungen anzubahnen, die eine verantwortliche Teilnahme an gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen ermöglichen. Bezogen auf das Handlungsfeld Sport wird das im Wesentlichen dadurch gefördert, dass Schülerinnen und Schüler die unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten des Sports erfahren und lernen, in zunehmender Verantwortlichkeit damit umzugehen. In diesem Verständnis des erziehenden Unterrichts spiegelt sich der Doppelauftrag des Schulsports. Er wird durch die Berücksichtigung folgender Prinzipien des Lehrens und Lernens verwirklicht:

  • Mehrperspektivität
  • Erfahrungsorientierung und Handlungsorientierung
  • Reflexion
  • Verständigung
  • Wertorientierung

Mehrperspektivität
Unter diesem Prinzip erfolgen spezifische Akzentuierungen von Bewegung, Spiel und Sport, die vor allem den Schülerinnen und Schülern zur Sinnfindung für ihr eigenes sportliches Handeln dienen.
Auf der Ebene der Inhaltsbereiche bedeutet Mehrperspektivität, begründete Schwe rpunkte bei der Verknüpfung von Pädagogischen Perspektiven mit Inhaltsbereichen zu setzen. Dabei ist zu berücksichtigen, welche sinnbezogenen Auslegungen einem Inhaltsbereich angemessen sind, und für welche Thematisierungen er sich besonders eignet.
Für die einzelnen Unterrichtsstunden oder thematischen Einheiten bedeutet Mehrperspektivität, dass der Unterricht unterschiedliche Erfahrungen erschließen soll, die es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen Sport mit unterschiedlichem Sinn zu belegen. Hier sollen auch die in sportlichen Aktivitäten enthaltenen Ambivalenzen thematisiert werden.

Erfahrungsorientierung und Handlungsorientierung
Dieses Prinzip besagt, dass sich der Lernprozess in der aktiven, handelnden Auseinandersetzung des Individuums mit der Sache vollziehen soll. Eine solche ha ndelnde Auseinandersetzung verlangt, von individuellen Erfahrungen und konkreten Lebenssituationen auszugehen und Freiräume zum selbstständigen Erproben und Lernen einzuräumen, damit sich Schülerinnen und Schüler als Subjekte des Lernens einbringen können.

Reflexion
Erfahrungen und Handlungen müssen reflektiert werden, um letztlich wirksam zu werden. Reflexion bildet den Ausgangspunkt für die individuelle Urteilsbildung, die wiederum Voraussetzung für Handeln in sozialer Verantwortung ist. Gerade dieses Prinzip verweist darauf, dass es im Sportunterricht nicht nur um die Vermittlung von praktischen Kompetenzen geht, sondern auch darum, zur mündigen, reflektierten Teilnahme am Sport zu befähigen.

Verständigung
Dieses Prinzip verlangt, Schülerinnen und Schüler zunehmend an der Planung, Durchführung und Gestaltung des Unterrichts zu beteiligen. Dafür müssen sich Lehrerinnen und Lehrer mit ihren Schülerinnen und Schülern über Sinn und Realisierung der unterrichtlichen Inhalte verständigen sowie Verständigungsprozesse unter den Schülerinnen und Schülern fördern.

Wertorientierung
Ein erziehender Unterricht ist wertorientiert. Er orientiert sich an einem humanen Sport, der getragen ist von Respekt gegenüber anderen, von Fairness, Toleranz und Partnerschaftlichkeit, vor allem auch im Umgang der Geschlechter miteinander.