Schulsportpraxis und Fortbildung

2.1 Der Auftrag des Schulsports

Als Teil der Schule orientiert sich der Schulsport an deren Erziehungs- und Bildungsauftrag. Dieser soll einerseits die optimale Entfaltung der Möglichkeiten und Fähigkeiten des Individuums sowie andererseits die selbstständige Teilhabe und Partizipation an Gesellschaft und Kultur unterstützen und fördern. Durch die systematische Anleitung von Lern-, Erziehungs- und Bildungsprozessen entfaltet Schule in unterschiedlichen, als gesellschaftlich bedeutsam angesehenen fachlichen Bereichen ein entsprechendes Bildungsangebot. Der Schulsport repräsentiert einen dieser Bildungsbereiche. Er orientiert sich mit seinem spezifischen Bildungsanliegen schulstufen- und schulformübergreifend an dem folgenden Doppelauftrag: Entwicklungsförderung durch Bewegung, Spiel und Sport und Erschließung der Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur (vgl. Abb. 1).

Der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule mündet in der systematischen Entwicklung und Förderung einer umfassenden Handlungskompetenz, die im Feld von Bewegung, Spiel und Sport spezifisch ausgelegt wird. Die kompetenzorientierten Kernlehrpläne und Bildungspläne für den Sportunterricht sowie die standortbezogene Ausgestaltung außerunterrichtlicher Angebotsformen markieren Anwendungsfelder der exemplarischen Konkretisierung und Realisierung dieses grundlegenden Anspruchs.

In den letzten Jahrzehnten haben sich Bewegung, Spiel und Sport über den gesamten Lebenslauf hinweg zu einem wesentlichen Bestandteil der Lebenswelten von Menschen in modernen Gesellschaften weiter entwickelt. Jugendliche haben hier häufig sogar stilprägende Leitfunktionen übernommen. Dabei ist der Sport vielgestaltiger geworden und bietet Kindern und Jugendlichen in unterschiedlichen Kontexten auf ihre jeweiligen Bedürfnisse ausgerichtete Möglichkeiten der Partizipation und Entfaltung. 

Der Schulsport und insbesondere der für alle verbindliche Sportunterricht sollten dieser veränderten Situation angemessen Rechnung tragen und an diese Entwicklungen anknüpfen. Um im Sinne des allgemeinen schulischen Erziehungs- und Bildungsauftrags eine selbstständige Teilhabe und weitgehende Partizipation an der außerschulischen Sport- und Bewegungskultur vorzubereiten, berücksichtigt der Schulsport diese außerschulische Vielfalt und macht sie Schülerinnen und Schülern zugänglich. Kulturerschließung beinhaltet dabei die Möglichkeit der Partizipation an entsprechenden Aktivitäten, die Einsicht in ihre Veränderbarkeit und Gestaltbarkeit wie auch die Fähigkeit zur reflexiven Bearbeitung und Beurteilung der vielfältigen Phänomene moderner Sport- und Bewegungskulturen. Im Sinne einer mehrperspektivischen und reflektierten Sport- und Bewegungspraxis sind dabei sowohl die unterschiedlichen Potenziale wie auch die immer vorhandenen Ambivalenzen, Begrenzungen und auch Gefahren des Sports Gegenstand sowohl des Sportunterrichts wie auch des außerunterrichtlichen Schulsports.

Im Unterschied zu vielen anderen fachlichen Bildungsbereichen in der Schule beanspruchen und fördern Bewegung, Spiel und Sport die Schülerinnen und Schüler in unterschiedlichen Entwicklungsdimensionen, die es innerhalb der Schule im Unterricht und in außerunterrichtlichen Angeboten systematisch anzusteuern und zu erschließen gilt. Menschliche Entwicklungsprozesse finden immer statt, schulische Entwicklungsförderung bedarf jedoch stets der planvollen Gestaltung, um die erwünschten Förderungsziele zu erreichen. Dabei ist das Handeln der Schülerinnen und Schüler in schulsportlichen Kontexten immer mehrdimensional angelegt und umfasst neben den körperlich-motorischen Aktivitäten auch Anforderungen im kognitiven, sozialen, motivationalen oder emotionalen Bereich.

Der Sportunterricht muss diese Entwicklungsfunktion durch entsprechende Gelegenheitsstrukturen (z.B. Lernaufgaben, Reflexionsanlässe) gezielt unterstützen. Das besondere Anforderungsprofil des Schulsports eröffnet den Heranwachsenden dabei Felder der persönlichen Entwicklung, die innerhalb der Schule sonst weniger angesprochen werden. Auch wenn die Potenziale solcher mehrdimensionalen, ganzheitlichen Prozesse für die individuelle Entwicklung weitgehend unbestritten sind, so bedürfen sie einer bewussten pädagogisch-didaktischen Inszenierung und Begleitung. Das verbessert systematisch die Chancen einer angemessenen Realisierung der pädagogisch wünschenswerten Entwicklungsförderung. Dabei ist auch im Bereich der individuellen Entwicklung zu bedenken, dass Entwicklungspotenziale grundsätzlich ambivalent strukturiert sind – also z.B. auch unerwünschte Verläufe nehmen können. Daher muss eine mehrperspektivische und auf eine reflektierte Praxis zielende Konstruktion des Schulsports und insbesondere des Sportunterrichts im Kontext der individuellen Entwicklungsförderung leitend sein.

Die beiden Facetten des schulsportlichen Doppelauftrags nehmen die Lernpotenziale der Heranwachsenden auf, die durch pädagogisch entsprechend vorstrukturierte schulsportliche Angebote (vgl. Kap. 2.2, 2.3) angeregt und individuell möglichst optimal weiterentwickelt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die individuellen Voraussetzungen unterschiedlich und die individuellen Potenziale variabel sind, was folgerichtig auch für die Resultate der jeweiligen schulsportlichen Lern- und Bildungsangebote gilt. Dies gilt insbesondere beim gemeinsamen inklusiven Lernen von Behinderten und Nichtbehinderten. Anzustreben ist die Ausgestaltung einer an den individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten bemessenen Handlungskompetenz der Schülerinnen und Schüler. Diese versetzt sie in die Lage, im Sinne einer gesellschaftlichen Teilhabe aus den lebensweltlich relevanten Angeboten der Sport- und Bewegungskultur auszuwählen, sie zu reflektieren, sie entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen zu gestalten bzw. zu verändern und sich an ihnen aktiv zu beteiligen.